„Alle Achtung, Stefan! Dass Du aber auch noch dermaßen spät am Abend arbeitest! Alle Achtung, mein Lieber!“ Stefan warf seiner Frau einen giftigen Blick zu. Warum dann dieses Theater vor Ratberg? Er nahm sein Glas Wein und prostete dem alten Herrn zu. „Auf dein Wohl, Schwiegervater!“ Er hatte sich nie zu dessen Vornamen Hermann durchringen können.
In den nächsten Tagen sah er immer wieder Nataschas kleines, zartes Gesicht vor sich, ihre großen, rehbraunen Augen, und ihr, dazu im Kontrast stehendes, blondes Haar. Er ertappte sich dabei, wie er schon am frühen Morgen im Badezimmer Chopins Prelude, das sie für ihn gespielt hatte, vor sich hin summte. Er fühlte sich um Jahre verjüngt. Und gleichzeitig mit diesen Träumereien wuchs seine Sehnsucht, sie wiederzusehen. Tag um Tag wuchs diese an und je mehr Zeit verstrich, desto dringlicher wurde sie. Er wollte Natascha neben sich laufen sehen, ihren zarten, mädchenhaft Duft einatmen und sich in ihren großen Augen verlieren. Wie ein Schuljunge entwarf er kleine Briefchen mit Liebeserklärungen. Aber er traute sich nicht, sie abzuschicken. Was würde sie von ihm denken! Er könnte ihr Vater sein! Zum ersten Mal verfluchte er sein Alter. Vorher hatte es ihn nie gestört. Er hatte sich jung gefühlt. Aber jetzt!