Kapitel 36


Natascha war froh, als sie endlich im Helikopter saß. Sie versuchte es sich, so gut es ging, bequem zu machen und schloss die Augen. Sie wollte schlafen. Aber so sehr sie sich auch bemühte, der Schlaf wollte und wollte nicht kommen. Wenn sie kurz einnickte, sah Hardenberg sie mit traurigen Augen an. Und sie fuhr erschrocken hoch. Der Copilot fragte, ob sie sich einen Film auf einem kleinen Display ansehen wolle. Natascha entschied sich für eine Komödie. Das tat gut, mal die eigene Realität zu vergessen und in etwas anderes, lustigeres einzutauchen. Für Minuten erst und schließlich eineinhalb Stunden lang vergaß Natascha das, was sie heute erlebt hatte und lachte und freute sich. Aber jeder Film hat ein Ende und der Katzenjammer folgte auf dem Fuß. Und so entschied sie sich für einen neuen und noch einen. Zwischendurch mussten sie einmal landen und den Tank wieder auffüllen. Dieses Mal schenkte sie dem Treiben kaum Beachtung. Sie wusste, sie sass im exklusivsten Helikopter, den man sich nur leisten konnte, dem Airbus-Helikopter, der 220 km/std flog, einem Hightechgerät der Extraklasse.

Mit den Worten „Wir sind im Landeanflug über Ihrem Garten, Frau Winter!“ brachte sie der Pilot wieder in den Tag zurück. Sie waren nur sechseinhalb Stunden in der Luft gewesen. Fast bedauerte sie, den gesamten Flug nicht weiter beachtet zu haben, aber so war es auch gut. Sie war ausgeruht und frisch, als sie sich beim Piloten und Copiloten bedankte und gebückt unter den rotierenden Rotorblättern hinüber zu ihren Eltern lief. Zu ihrer Überraschung stand auch Jens neben ihnen und zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, war sie richtig froh, dass er da war. Sie flog in seine Arme und drückte sich an ihn. „Halt mich ganz fest, Jens!“ flüsterte sie. Er hatte sie noch nie so erlebt und war überglücklich. Er hielt sie fest umschlungen in seinen Armen. „Kommen wir armen Eltern auch noch mal dran?“ rief der Vater. „Der Hubschrauber ist schon lange weg, und sie liegt immer noch in Jens‘ Armen!

Hallo, wir sind auch noch da!“

Natascha musste lachen und umarmte ihren Vater und ihre Mutter. Auch Stine bekam einen kräftigen Schmatz auf die runzlige Wange. „So, nun lasst uns mal reingehen!“ rief diese und stiefelte mit kurzen, schnellen Schritten voran. Sie folgten ihr redend und lachend. Stine hatte ein Käsefondue vorbereitet und sie setzten sich, nachdem sich Natascha frisch gemacht und umgezogen hatte, an den gemütlichen Tisch vor dem Kamin. „Und nun erzähl mal, was du gesehen hast, Kind!“ forderte sie der Vater auf. „Der Mensch muss ja märchenhaft reich sein, wenn er einen eigenen Hubschrauber und eine Yacht besitzt! Wie groß war die denn?“ „Das weiß ich nicht so genau, aber sie war recht groß. Die Größte, die da vor Anker lag. Das Fest, das er seiner Tochter gegeben hat, war sehr, sehr beeindruckend, wirklich!“ Sie wollte noch hinzufügen „aber so richtig gut, wie ihr beide, verstehen sich die Eheleute Hardenberg nicht.“ Jedoch biss sie sich auf die Zunge und sagte nichts. Das ging keinen Fremden etwas an. Am nächsten Morgen fuhr sie mit Jens zurück nach Hamburg. Sie musste noch die Wohnung kündigen und den Umzug nach München organisieren. Vorher musste alles in Kisten verpackt werden, Bücher, Geschirr, Krimskrams und Noten. Die Möbel blieben in der Wohnung, Natascha hatte sie möbliert gemietet. Jetzt war sie froh darüber, war doch so ein Umzug um vieles im wahrsten Sinn des Wortes leichter. Sie hatte geplant, in einer Woche alles über die Bühne gebracht zu haben, einschließlich des Einrichtens der neuen Wohnung, die ihr das Orchester in München ebenfalls möbliert gestellt hatte. Jens hatte noch zwei Kumpel organisiert, die das Herunterschleppen der Kisten in den kleinen, alten Ford Transit, der einem von ihnen gehörte, übernahmen. Mit Jens zusammen würde sie damit nach München fahren und dort in Ruhe auspacken. Den Wagen würde Jens dann wieder nach Hamburg zurückfahren. Sie hätte nie gedacht, dass ihr der Gedanke an den baldigen Abschied von ihm weh tun würde. Sie wusste, dass sie nur ein Jahr getrennt sein würden, dann wollte Jens nachkommen, aber dunkel war ihr auch klar, dass ein Jahr in einem Menschenleben viel verändern kann. Jens würde einen treuen und einen sich um sie sorgenden Ehemann abgeben, der bereit war, alles für seine Frau und Familie zu tun. Das erkannte sie klar aus seinem Verhalten ihr gegenüber. Er log sie nicht an, wie Hardenberg es getan hatte, er betete sie nur an und hatte nicht nebenbei noch eine weitere Freundin. Auf ihn war zweihundertprozentig Verlass. Solche Menschen fand man selten, das war ihr klar und doch… Ihr Herz schlug schneller, wenn sie an Hardenberg dachte.


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