Tage vergingen. Hardenberg hatte sich noch nicht wieder bei Natascha gemeldet. Erst wollte er selbst mit sich ins reine kommen. Dann, am vierten Tag nach dem Segelunfall, rief er sie an. Ihre Stimme klang befangen und spröder als sonst. „Gut geht’s!“ sagte sie auf seine Frage. „Ich habe ja noch einen Segeltörn gut. Wie wär’s dieses Wochenende?“ Auch seine Stimme klang forscher als sonst. Noch bevor sie antwortete, wusste er, dass die Antwort „Nein“ sein würde und dass sie ihn, wenn er Glück hatte, auf später vertrösten würde. Ich hätte sie nicht küssen dürfen!“ dachte er zerknirscht. Und noch bevor sie das Nein aussprechen konnte – es war gerade mal das N zu hören, – unterbrach er sie schnell. „Hören Sie, Natascha, es war falsch, dass ich Sie geküsst habe. Es tut mir leid, Sie sahen so niedlich aus, da ist es über mich gekommen. Lassen Sie uns beide wie vernünftige Menschen reagieren! Es wird nicht wieder vorkommen. Aber lassen Sie uns gute Freunde sein. Segelfreunde! Was sagen Sie dazu?“ Es war still am Telefon. Er hörte nur ihr Atmen. Seine Spannung wuchs. Endlich sagte sie leise: “ Okay!“ Sein Herz machte einen Sprung vor Freude. „Und wann, meinen Sie, können sich die Segelfreunde wieder treffen?“ „Am Samstag passt es ganz gut.“ Ihre Stimme klang immer noch reserviert. „Okay! Sagen wir, wie letztes Mal an der Aussenalster! Aber schon um 10:00 Uhr! „Geht in Ordnung, bis dahin alles Gute, Natascha!“
Er legte auf; er hätte es nicht ertragen, sie nie mehr wiedersehen zu können. Am Sonntag würde er zu Ines und seinem Berufsleben zurückkehren müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, dort jemals glücklich gewesen zu sein. Auch was er damals für Glück gehalten hatte: wie schal war es doch gewesen, im Vergleich, wenn er jetzt nur neben Natascha saß oder stand. Wie wäre es, wenn er alles hin -warf, die Firma verkaufte und sich in Hamburg niederließ? Er hatte genug Geld verdient, mehr als genug. So viel Geld, aber was nützte es ihm, wenn er auf die Liebe seines Lebens verzichten musste! Er hatte das Gefühl, bisher sein ganzes Leben falsch gelebt zu haben.
Der Sonntag war ein sonniger Tag. Es war nur wenig windig. Wie verabredet hatten sie sich an der Außenalster getroffen. Natascha hatte bei der Begrüßung die Augen niedergeschlagen und war schnell zum Bootsverleih gegangen. „Wie entzückend sie aussieht, auch wenn sie so reserviert schaut. “ dachte er, während er half, das Boot von den Leinen los zu machen. „Heute ist vorerst mein letzter Tag hier in Hamburg. Vielleicht kann ich nächste Woche noch ein paar Tage kommen, aber das ist unsicher.“ sagte er. Sie schaute ihn nicht an, sondern geradeaus aufs Wasser. Das Boot glitt ruhig dahin, ohne Schräglage. Sie antwortete nicht. Er legte sich, den Kopf zurückgeneigt, auf den Boden des Bootes. Er schloss die Augen, genoss ihre Gegenwart und dachte an gar nichts, nur an das kleine Glück hier morgens, eine Stunde lang. Nach einer Weile richtete er sich auf. „Soll ich jetzt das Steuer übernehmen? Dann können Sie sich auch ein bisschen in die Sonne legen!“ Sie nickte und sie tauschten die Plätze. Schneller, als es ihm vorkam, war die Stunde vorbei. Sie vertäuten das Boot ordnungsgemäß und gingen zur Straße hinauf. „Soll ich Sie bei Ihrem Hotel absetzen?“ fragte sie höflich. Aber Hardenberg war klug genug, den Bogen nicht zu überspannen. „Nein, danke, ich laufe zurück!“ „Dann wünsche ich Ihnen eine schöne Heimreise und grüßen Sie Ihre Frau unbekannterweise von mir!“ „Das werde ich tun!“ sagte Hardenberg. Dann trennten sich ihre Wege. Sie ging nach links, er nach rechts. Er drehte sich noch einmal um und sah, dass sie ihren Kopf hastig wieder nach vorn drehte. Er schmunzelte. Ging es ihr vielleicht nicht anders als ihm?
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