Freitag, 17. November 2023

Kapitel 35


Hardenberg war nicht hinter Natascha hergelaufen. Er wusste, es war sinnlos. Missverständnisse über Missverständnisse entstanden zwischen ihnen mit jedem Wort, das er sagte. Er begriff nicht, warum sie weggelaufen war. Vielleicht war sie mit ihrer so sensiblen und impulsiven Art doch nicht die Richtige für ihn. Er hatte sich auf die Kaimauer gesetzt und schaute aufs Meer, als Ratberg ihn anrief und mitteilte, dass Frau Winter nach Hause wolle. Er hatte nur „Ja, ja!“ gemurmelt und das Handy wieder ausgestellt. Er schluckte. Es tat mehr als weh. Erst nach Stunden war er in der Lage, zum Schiff zurückzukehren. Dort herrschte Unruhe. Frau Hardenberg mit Tochter war noch nicht zurückgekommen und weder das Handy seiner Frau noch das seiner Tochter ließ sich anrufen. Es gab seltsamerweise keine Verbindung. Sie waren wohl schon gut zwei Stunden überfällig. Hardenberg ließ sich im Salon in einen Sessel fallen und verlangte einen Kaffee. Er würde selbst hinaus fahren - er wusste ja, wo sie mit Judith hin wollte - und beide einsammeln. Sie hatten bestimmt nur einen Platten oder so. Erst dann, wenn er sie nicht fand, konnte man die Polizei einschalten. Er ließ sich Proviant einpacken und aß noch ein Sandwich-Baguette. Dann fuhr er los.

Vielleicht war das alles ganz gut. Es würde ihn von seinen Gedanken an Natascha ablenken. Bald hatte er die Spitze des Passes erreicht. Aber nirgends fand er eine Spur von Ines‘ Wagen oder Unfallspuren. „Dann hätte uns die Polizei schon längst benachrichtigt!“ beruhigte er sich. Sie würde auf

einem der anderen Berge sein oder in den kleinen Dörfern abseits. Nur, was wollten die beiden Frauen in den Dörfern? Aber Frauen waren ja unergründlich, das hatte ihn ja erst vor ein paar Stunden das Treffen mit Natascha gelehrt. Er legte eine Autokarte ausgebreitet auf den Beifahrersitz, dann fuhr er wieder weiter. Aber auch auf dem nächsten und übernächsten Pass fand er keine Spur. Er stieg oben jeweils am höchsten Punkt aus und fragte in den Kiosken nach, soweit sie geöffnet waren, aber niemand konnte sich an eine ältere Frau mit 14-jähriger Tochter in einem dunkelgrünen Jaguar erinnern. „Wie viele fahren denn am Tag hier durch?“ fragte er den letzten Kioskbesitzer. „Nicht viel! So zehn am Tag ungefähr!“

„Dann kann man ja davon ausgehen, dass sie diesen Berg nicht hochgefahren ist!“

„So würde ich auch denken, Monsieur!“ Nachdenklich setzte er sich wieder in den Wagen und rief Ratberg an, ob die beiden eingetroffen seien. Die ernüchternde Antwort war wieder „nein“. Er legte das Handy beiseite und beschloss, in zwei weitere Dörfer zu fahren. Wenn sie dort auch nicht gewesen waren, oder noch waren, blieb nur eine furchteinflössende Lösung übrig. Er wagte nicht, es sich weiter auszumalen. Stattdessen gab er Gas und fuhr den Berg hinunter. Im ersten Dorf gab es nichts, nur eine Straße. Keinen Laden, kein Cafe, einfach nichts, wo sie hätten sein können.

Ratlos hielt er ein paar Passanten an und schilderte Frau, Tochter und Auto. Doch alle verneinten bedauernd. Im nächsten Dorf war es das gleiche. Hardenbergs Furcht wuchs. Er beschloss zur Yacht zurückzufahren. Vielleicht waren sie in der Zwischenzeit ja schon eingetroffen. Er wagte nicht anzurufen, um diese letzte Hoffnung nicht zu zerstören.


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Donnerstag, 16. November 2023

Freizeit & Kultur im Revier

Freizeit  & 

Kultur-Tipps


Metropole Ruhr (idr). Die Dachkammer ist kalt, der Magen knurrt – doch Rodolfo und seine Pariser Künstlerfreunde fühlen sich trotz ihrer Armut unbekümmert und vor allem frei. Ihre künstlerische Schaffenskraft verleiht der Gemeinschaft eine ausgelassene Lebensfreude. Doch das mittellose Dasein hat seine Schattenseite in Puccinis Oper "La Bohème": Rodolfo fehlt es an Geld, um seiner geliebten schwerkranken Mimì Medikamente zu kaufen. Das Stück feiert am 18. November, 19.30 Uhr, Premiere am Theater Hagen.

Sie sind berühmt und doch unbekannt: Frauen, die großen Künstlern wie Rembrandt, van Gogh und Ernst Ludwig Kirchner Modell gestanden haben, etwa das Mädchen mit dem Perlenohrring und die Dame mit dem Hermelin. Wer waren diese Frauen, wie haben sie gelebt? Die Schweizer Autorin Martina Clavadetscher hat sich auf eine biografische Spurensuche begeben und verleiht den Porträtierten eine Stimme. So werden die Gemälde zum Ausgangspunkt für berührende literarische Skizzen, denen Friederike Becht in "Vor aller Augen" im Theater Duisburg Leben einhaucht. Die Premiere am 17. November ist ausverkauft. Für die Vorstellung am 19. November, 19.30 Uhr, gibt es noch Karten.

Das Ruhrgebiet hat "Zeit für Zirkus". Vom 17. bis 19. November beteiligen sich fünf Städte - Bochum, Dortmund, Herne, Schwerte und Witten - am bundesweiten Festival für Zeitgenössischen Zirkus. Die Flottmann-Hallen in Herne etwa sind am 17. und 18. November Schauplatz für das Stück "Wir wollen nie nie nie" der Kompanie Raum 305, in dem Luftakrobatik, Physical Theatre und Tanz verschmelzen. In Dortmund widmet sich am 18. November das Fritz-Henßler-Haus mit einem mehrteiligen abendfüllenden Programm ganz dem Zirkus, etwa mit Physical Monkey und ihrem Programm "Gaia - Sane Again?".

Das Kunstmuseum Bochum feiert seinen 40. Geburtstag mit einer großen Gruppenausstellung unter dem Titel "Our house ist a very very very fine house". Für die Schau, die sich vom 18. November bis 28. April vom Außenraum über das Foyer und alle Ebenen des Museums erstreckt, haben 16 zeitgenössische Künstler an den Schnittstellen von Kunst, Architektur und Design neue Werke entwickelt, die konkret, abstrakt oder sinnlich auf die architektonischen Begebenheiten reagieren. Zu sehen ist eine Vielzahl an begeh- und benutzbaren architektonischen Strukturen und Installationen, die dazu einladen, das Museum und seine Architektur neu zu erleben.

Zum mittlerweile 31. Mal findet am 18. November ab 18 Uhr die Weihnachtskunstversteigerung der Kunsthalle Recklinghausen statt. Im Kunstbunker am Hauptbahnhof kommen knapp 130 Werke namhafter regionaler und internationaler Künstler unter den Hammer. Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit dem Kunstverein Recklinghausen, dem Vestischen Künstlerbund und dem Förderverein für Bildende Kunst. Die Erlöse kommen zur Hälfte den teilnehmenden Künstlern und den beteiligten Vereinen zugute. Eine Vorbesichtigung der Werke ist am Versteigerungstag ab 11 Uhr in der Kunsthalle möglich.

Franziska Hauser liest am 16. November, 18 Uhr, im Lehmbruck Museum Duisburg aus ihrem Roman "Keine von ihnen": Grafikerin Jef schlägt sich in der Großstadt mehr schlecht als recht durchs Leben. Als sie durch eine übermütige Lüge und einen frisierten Lebenslauf zu den fünf ausgewählten Künstlern gehört, die ein Stipendium erhalten, kommt sie sich vor wie eine Hochstaplerin - und sie ist es ja auch. Ist Jef zu ungebildet, um die elitäre Kunst zu verstehen, oder steht sie in Wahrheit vor nichts als Fassade? Die Lesung findet im Rahmen der Reihe "Kunst lesen" des Literaturbüros Ruhr statt.

Kapitel 34


„Also, eigentlich“, begann er zögernd, „möchte ich mit dir unter vier Augen sprechen.“ Er schaute sie durchdringend an. „Entschuldige, was ich dich schon immer mal fragen wollte?“ Natascha zeigte auf seine Augen. „Sind die echt oder trägst du Farblinsen?“ Hardenberg musste grinsen und damit war der Ernst der Situation einer gewissen Fröhlichkeit gewichen. „Du bist mir eine!“ schmunzelte er, „aber ich kann dich beruhigen. Sie sind echt. Schau sie dir ruhig genau an!“ Er rückte sehr nah an Natascha heran und zog leicht ein Unterlid herunter. „Siehst Du, keine Linse!“ Natascha sog seinen Körperduft ein und atmete rascher. „Dann will ich Dir mal glauben!“ flüsterte sie mit heiserer Stimme. Am liebsten hätte sie jetzt auf der Stelle sein Gesicht umfasst und ihn geküsst. Sie spürte deutlich, dass es auch Hardenberg so ging und er schon eine winzige Bewegung auf ihren Mund zu machte.

Schnell rückte sie von ihm ab. Was tat sie da nur und hatte gestern Nacht getan?! Er war doch, verdammt noch mal verheiratet! Auch Hardenberg nahm wieder seine vorherige Position ein. „Nun, wir sind doch unter vier Augen, dann sprich doch!“ Ehe Hardenberg antworten konnte, trat ein Handwerker an ihn heran und bat ihn um sein Kommen. Er stand auf. „Ich komme gleich wieder, einen Moment, Natascha!“

Sie sah ihm hinterher. Was wollte er ihr sagen? Den Scheck für den gestrigen Abend hatte sie auf dem Tisch in ihrer Kabine vorgefunden, er hatte sogar eine höhere Summe ausgestellt, als sie vereinbart hatten. Also, was gab es noch zu regeln? Aber so sehr sie ihren innerlichen Aufruhr mit dieser Frage beruhigen wollte, so genau wusste ein anderer Teil in ihr Bescheid. Sie hatte keinen Hunger mehr und schob das Gedeck zurück. Sie lehnte sich zurück und beobachtete die Handwerker. Plötzlich spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter.

„Bist Du fertig? Dann komm!“ Er führte sie vom Schiff hinunter und sie gingen auf der Strandpromenade entlang. Er hielt den Kopf gesenkt und sagte kein Wort. Natascha schwieg ebenfalls. Sie wartete. Endlich blieb er stehen. „Natascha, wie oft habe ich mir diese Szene vorgestellt! Und Angst gehabt, sie zu verwirklichen! Natascha, ich liebe dich, wie ich nie zuvor eine Frau geliebt habe und lieben werde. Ich weiß, noch bin ich verheiratet, aber ich werde die Scheidung einreichen und dann…“ Sie unterbrach ihn kühl. „Das sagen alle verheirateten Männer. Dass sie die Scheidung einreichen und meistens kann die Frau dann warten, bis sie schwarz wird.“ Natascha schwieg und schaute ihn nicht an. Was sie weiter dachte, sagte sie nicht. Sie schaute auf ihre Schuhe. Hardenberg wollte sie wieder in den Arm nehmen, aber sie wehrte ihn ab. Dann drehte sie sich abrupt um und ging zum Schiff zurück. Ratberg stand an der Gangway und sie lief schnell zu ihm hinauf. „Wann geht mein Flieger, Herr Ratberg? Können Sie mir das sagen?“ Ihre Stimme klang ungeduldig. „Wann immer Sie möchten, Frau Winter!“ „Dann möchte ich sofort weg von hier!“ Ratberg räusperte sich. „Müssen Sie erst die Erlaubnis von Herrn Hardenberg einholen, dann tun Sie es! Bitte rufen Sie ihn an!“ Natascha ging schnellen Schrittes in ihre Kabine und holte ihre Sachen. Dafür war sie nun länger geblieben! Pah! Was hatte sie erwartet!? Rote Rosen? Einen Heiratsantrag? Ja, sie musste mit Tränen in den Augen vor sich zugeben, dass sie genau das-vielleicht ein bisschen weniger- erwartet hatte. Dass er ihr auf eine anständige Weise den Hof machte und sie nicht wie eine drittklassige Geliebte behandelte. Dafür war sie sich zu schade. Sie warf noch einen letzten Blick in den Spiegel, dann ging sie hinaus. Vor der Gangway stand schon der Wagen bereit. Von Hardenberg nirgendwo eine Spur. Es war auch besser so. In ihrer Wut hätte sie ihm sonst böse Worte an den Kopf geworfen. Ratberg hielt ihr die Wagentür auf. Und schlug sie, als sie eingestiegen war, wieder zu. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, damit er ihre verräterisch funkelnden Augen, in denen sie die Tränen kaum zurückhalten konnte, nicht im Rückspiegel sah. Der Wagen glitt geräuschlos vorwärts. Sie warf keinen Blick zurück. Das Kapitel Hardenberg war für sie abgeschlossen. Ein für alle Mal.

Mittwoch, 15. November 2023

Kapitel 33


Seine Stunde mit ihr würde schon kommen. Für den krönenden Abschluss hatte er ein großes Feuerwerk an Land geplant, von dem außer ihm und den Pyrotechnikern niemand wusste. Er freute sich schon jetzt auf die entzückten Gesichter der jungen Leute. Danach würde er bekannt geben, dass die Party zu Ende war. Wie geplant, wurde das Feuerwerk die größte Überraschung. Er hatte nicht an den besten Pyrotechnikern gespart, vom Band lief majestätisch die Feuerwerksmusik von Händel und er sah bei etlichen jungen Frauen, aber auch Männern, wie sie sich verstohlen ein paar Tränen der Ergriffenheit aus den Augenwinkeln wischten. Als es vorbei und der letzte Ton verklungen war, wartete er noch ein paar Minuten, dann trat er ans Mikrofon und erklärte die Party für beendet. Natascha hatte er nicht mehr unter den Gästen gesehen. Sie war wohl schon schlafen gegangen. Vielleicht hatte sie das Feuerwerk ja von ihrer Kabine aus beobachtet. Er war daher wirklich überrascht, ihr auf dem Vorderdeck zu begegnen, wo sie, allein, in einen seiner Gästebademantel gehüllt, an der Reling stand.

Hardenberg trat neben sie.

„Hat Ihnen das Fest gefallen?“ fragte er beiläufig, während er in das dunkle Wasser schaute. „Ja!“ antwortete sie schlicht.

„Jetzt will ich aber wieder ins Bett, sonst verschlafe ich noch den ganzen Morgen.“ „Gute Nacht, Natascha!“ Hardenberg schaute sie an. Sie gab seinen Blick zurück. Schweigend schauten sie, bis sich Hardenberg aus der Erstarrung löste und sie plötzlich in die Arme nahm und küsste. Sie wehrte sich nur kurz, dann erwiderte sie seufzend seinen Kuss.


Natascha wachte am frühen Morgen trotz des kurzen Schlafs erfrischt auf. Sie war wohl nicht die Erste, denn draußen hörte sie schon Stimmen und Schritte. Ihre Morgentoilette dauerte nicht lange und kurze Zeit später war sie schon im Salon. Die Handwerker hatten ihr Möglichstes getan, ihn so schnell wie möglich wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen. Der Flügel war schon weg, auch die Discokugeln bis auf zwei alle ab -montiert und die Blumenarrangements hatte man wohl auf dem ganzen Schiff verteilt. Sie sah Hardenberg schon in einem Sessel an einem Tisch sitzen und frühstücken. „Darf ich mich dazu setzen?“, fragte sie „oder ist der Platz für die Ehefrau reserviert?“

„Der Platz ist frei, meine Frau ist schon seit zwei Stunden unterwegs. Sie ist mit Judith in die Berge hinauf“, er machte eine weitläufige Bewegung hinter sich, „mit dem Auto. Es ist der letzte Ausflug sozusagen, denn Judith fährt morgen früh ins Internat.“

Natascha nahm Platz. Ein Stewart erschien sofort und fragte nach ihren Wünschen. Sie bestellte sich ein Croissant und einen Milchkaffee.

„Ich finde ja, die Franzosen können nicht frühstücken!“ sagte Hardenberg. „Schon der Kaffee ist eine Zumutung! Aber ich will niemanden den Appetit verderben“, sagte er entschuldigend, als der Steward das Gewünschte brachte. Natascha biss mit Genuss in das noch heiße Gebäck und nahm einen großen Schluck Kaffee. „Und was haben Sie mit mir vor,…“ Er unterbrach sie. „Bitte, sag Du zu mir, Natascha! Nach gestern Nacht…“ Sie zögerte einen Moment, dann sprach sie weiter: „Was hast Du mit mir vor, da Du mich ja batest, bis heute Mittag zu bleiben?“ Sie sah ihn direkt an.


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Dienstag, 14. November 2023

Novembersonne

 

ONsuderwich-Bild: Sebastian Pokojski 



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Kapitel 32


Hardenberg ging seine Frau suchen. Er fand sie, wie immer bei solchen Festen an der aufgebauten Bar vor einem Wodka sitzen. „Sie denkt, ich weiß nicht, dass es Wodka ist! Sie meint, weil es in einem Glas für Wasser ist und klar ist, glaubt jeder, dass sie nur Wasser trinkt!“ dachte er verbittert, „dabei wissen doch fast alle, zumindest Personal und gute Freunde, dass sie gerne harte Sachen trinkt.“ Er zog sich einen Hocker heran und bestellte sich einen alkoholfreien Cocktail. „So früh am Abend schon Alkohol?“ frotzelte Ines, die sich wie immer über seine Alkoholabneigung lustig machte. Ihr Atem roch schwer nach Fusel. Das Glas war bestimmt nicht ihr erstes. „Trink lieber nicht so viel!“ sagte er leichthin, „wenn du morgen in die Berge fahren willst!“ „Von dir lass ich mir gar nichts sagen!“ Sie wurde unangenehm laut. Einige der am nächsten sitzenden Gäste drehten sich schon neugierig um. Hardenberg erhob sich, prostete ihr höflich zu und ging mit seinem Glas unter die Menge. Hoffentlich wurde und blieb sie den Abend über still, ihrer Tochter zuliebe. Es wäre zu peinlich, wenn sie sich vor den Gästen vergessen würde.

Es blieb still. Ines hatte wohl seinen Rückzug genau verstanden. Als er später noch mal in ihre Richtung spähte, war sie nicht mehr an ihrem Platz. Er winkte Ratberg, seinen guten Geist, herbei. „Können Sie mir sagen, wo meine Frau ist?“ Ratberg verzog keine Miene, als er antwortete:“ Der gnädigen Frau ging es nicht gut. Ich habe sie in ihr Zimmer begleitet.“ Stefan wusste, was das hieß. Es hieß nichts anderes, als dass sie so betrunken gewesen war, dass Ratberg es für besser gehalten hatte, sie zu fragen, ob er ihr nicht in ihr Zimmer helfen sollte, da es ihr offensichtlich nicht gut ging. Schon zu Hause hatte er oft die Rolle des rettenden Geistes übernommen, bevor die Situation eskalieren konnte. Er wusste auch, woher Ratberg das so gut konnte. Es war ein Privileg, dass dieser aus einer traurigen Kindheit gewonnen hatte. Er wusste auch,dass er sich auf Ratberg verlassen konnte, dass dieser jetzt sogar ihre Koje abgeschlossen hatte, um weitere Eskalationen zu vermeiden. Die Party hatte ihren Höhepunkt erreicht.

Das Lachen und der Hip-Hop der Band dröhnte in seinen Ohren. Vor allem ältere Gäste hatten sich schon bei ihm verabschiedet; übrig würden bis zum frühen Morgen nur die jungen Leute bleiben. Judith tanzte ununterbrochen. Seine Augen suchten Natascha. Endlich fanden sie sie draußen an Deck. Aber sie war nicht allein. Der junge Mann von vorhin stand neben ihr und sie unterhielten sich angeregt. Er spürte, wie Eifersucht in ihm hochkriechen wollte. Aber er kam wieder zur Vernunft. Was hatte der junge Mann Natascha außer seiner Jugend schon zu bieten? Hardenberg konnte ihr mehr geben als alle jungen Männer zusammen. Instinktiv wusste er, dass Natascha ihm mehr entgegenbrachte, als sie zeigte. Er ging zurück zu seinen Gästen am Buffet, und ließ die jungen Leute unbeobachtet.


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Montag, 13. November 2023

Kapitel 31


Sie machte gerade noch ein paar Trockenübungen mit den Fingern, da klopfte es erneut und Hardenberg bat sie in den Salon zu ihrem Auftritt.

Natascha kannte keine Aufregung und kein Lampenfieber. Zu oft war sie schon als Kind aufgetreten, als dass sie nicht genau wusste, dass sie sich felsenfest auf ihre Nervenruhe und ihre Finger verlassen konnte. Der Saal sah herrlich aus mit seinen Lichter-spielen, die jetzt gedimmt wurden, als sie sich verneigte und dann an den Flügel setzte. Es war ein Steinway, so wie der in Hamburg. Das ist eine nette Geste von ihm, dachte sie noch, bevor sie begann. Im Saal wurde es mucksmäuschenstill und sie selbst versank wie in Trance in die Musik, die ihre Finger hervorperlen ließen. Als sie nach drei Stücken ihr Programm beendet hatte, stand sie auf und gleichzeitig erhob sich frenetischer Beifall. Sie verbeugte sich dankend und einzelne der Gäste riefen Bravo. Sie dankte noch einmal, dann ging sie unter weiterem Beifall hinaus. Sie hatte ihre Arbeit getan und sie war zufrieden mit sich. Sie hatte gut gespielt, für ihr Honorar ihr Bestes gegeben. Im Flur hörte sie eilige Schritte hinter sich. Sie drehte sich nicht um. Sie wusste, wer es war. Als sie die Türklinke in der Hand hielt, stand er neben ihr. „Ich hoffe, ich habe Ihren Auftrag zu Ihrer Zufriedenheit ausgeführt, Herr Hardenberg!“ sagte sie. Er packte sie plötzlich an den Schultern und drehte sie zu sich herum. Seine Hände brannten auf ihrem nackten Fleisch. Sie versuchte, sie herunter zu nehmen, aber er ließ nicht locker. „Bitte hören Sie mir zu, Natascha Winter! Ich danke Ihnen für Ihr hervorragendes Spiel, aber ich habe noch eine Bitte.“ Sie sah den flehentlichen Ausdruck in seinen Augen und stand still. „Bitte, bleiben Sie bis morgen, Natascha! Seien Sie für diese Nacht mein Gast! Sie haben nichts zu befürchten, meine Frau ist auch da!“ fügte er hinzu, als er ihren ratlosen Blick sah. Hardenberg wusste nicht, dass es sein Blick aus seinen unwahrscheinlich blauen Augen selbst war, der Natascha schwach werden ließ. Sie willigte ein bis zum nächsten Mittag zu bleiben. Dann zog sie die Tür hinter sich zu. Hardenberg stand noch einen Moment davor, versucht noch einmal anzuklopfen, aber dann drehte er sich um und ging in den Salon zurück. Dort war im sinnbildlichen Sinne die Hölle los. Alle jungen Leute tanzten unter mehreren, sich drehenden Discokugeln und Laserlicht zu dem Gesang der Boygroup. Judith war mitten unter ihnen und er konnte ihr glückliches Lachen deutlich hören. Er blieb in der Nähe der Tür, um Natascha, falls sie zurückkäme, nicht zu verpassen. Er täuschte sich nicht. Sie kam, unkapriziös in Jeans und mit besticktem T-Shirt. Sie mischte sich unters Jungvolk und begann zu tanzen. Sie tanzte gut. Es dauerte auch nicht lange, da hatte ein junger Mann sie entdeckt und tanzte sie unverhohlen an.


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