Über das Briefeschreiben
ONsüd-Bild: Daniel Osthues |
von Katharina Kumeko
Einen netten, aufmunternden Brief, mit der Hand geschrieben - mit einem guten Federhalter und Tinte auf Briefpapier - wann bekommt man so etwas noch? Leider ist derlei vollkommen aus der Mode gekommen. In Zeiten des allgegenwärtigen Smartphones mit seinem WhatsApp oder Signal - (um nur zwei Anbieter zu nennen) - erscheint es vielen Menschen total unnötig, jemandem handschriftlich einen Brief zu schreiben.
Unlängst fand ich auf Facebook die Feststellung, „dass “- sinngemäß- „die nächsten Generationen vergeblich nach, - mit roten Seidenbändchen verschnürten Liebesbriefen auf Dachböden - suchen würden, denn wie ließen sich WhatsApp-Nachrichten, verschnürt in Seidenbändchen, auf Dachböden hinterlegen?“
Die Antwort lautet: Gar nicht!
Das ist jedoch nicht das einzige Manko.
Auch wenn wir noch so viele Smileys und Emojis zur Auswahl haben, ersetzen diese wirklich unsere sorgfältig formulierten Sätze, die wir auf den Adressaten abgestimmtes und ausgewähltes Briefpapier schreiben?
Ich besitze noch jede Menge Briefe einer handschriftlichen Korrespondenz vor der Jahrtausendwende mit einem Brieffreund aus Detmold. Wir waren beide begeisterte Schreiber in jeder Hinsicht, beide schrieben wir hobbymässig Geschichten und Gedichte und tauschten sie zwecks Kritik und Korrektur miteinander aus. Wir unterhielten uns zwar auch telefonisch, aber ein Großteil unserer gegenseitigen Mitteilungen war auf Papier per Hand geschrieben. Gut, damals gab es gerade erst die Anfänge des World Wide Web, und noch lange keine Smartphones. Aber wäre in Zeiten von WhatsApp solch eine Korrespondenz überhaupt zustande gekommen?
Zumindest wäre sie jetzt nach Jahrzehnten nicht mehr vorhanden, da Smartphones nur eine begrenzte Lebensdauer haben und wer speichert schon alle Chats sorgfältig ab? Man schreibt eh nur kurze Satzfragmente - so ist mittlerweile sogar ein eigenes „Sprachbild“ des WhatsAppens entstanden. Oft nur Kleinschreibung, statt einer Gemütsbeschreibung nur ein passender smiley. Es sind Kurzmitteilungen, aber eigentlich keine tiefergehenden Briefe mehr.
Zu Goethes Zeiten gab es eine erstaunliche, tagtägliche Flut an Briefen. Man hatte gerade den Freund, die Freundin besucht und schon begab man sich, gerade zuhause angekommen, an das Schreibpult und schrieb ein paar Zeilen nieder, um das vorherige Gespräch abzurunden oder neue Gedanken und Empfindungen hinzuzufügen. Ein Diener oder Bote brachte so schnell wie möglich das versiegelte Stück Papier zum Empfänger. Jeden Tag gingen so unzählige Briefe hin und her. Nicht nur von Dichtern, sondern auch „von unzähligen Bürgern und Bürgerinnen, die ohne jeden literarischen Ehrgeiz waren.“*
Das war der normale Durchschnitt. Goethe allein hat 15.000 Briefe in seinen dreiundachtzig Lebensjahren versandt und 20.000 bekommen. Das sind (ab seinem zwanzigsten Jahr) ungefähr 20 Briefe im Monat, also jede Woche fünf, heisst: er schrieb nahezu jeden Tag einen Brief. Und bekam jede Woche rund sieben, also einen pro Tag.
Dieses Ausmass werden wir natürlich nicht mehr erreichen..
Aber ich habe mir fest vorgenommen, den Weihnachtsmann um einen grünen, antiken Federhalter zu bitten, um damit im nächsten Jahr die Anzahl meiner von Hand geschriebenen Briefe zu erhöhen.
*aus Barbara Beuys: Herzgedanken- 1981 Societäts-Verlag