von Katharina Kumeko
Durch Corona haben wir alle mehr oder weniger Spazierengehen gelernt. Oder sagen wir besser : wieder gelernt. Ich hatte mir von Beginn der Ausnahmesituation angewöhnt, jeden Tag mindestens eine Viertelstunde zu gehen. Meistens ging ich entweder vor dem Frühstück oder nach dem Frühstück.
Ich bin dem Ritual bis heute treu geblieben. (Sicher, es hat auch einige Aussetzer während dieser Zeit gegeben, mal einen Tag, mal zwei Tage oder auch mal fünf Tage, an denen ich keine Lust dazu hatte, aber spätestens nach dem fünften Tag habe ich wieder mit dem Spazierengehen begonnen.)
Was macht das Spazierengehen mit uns? Erst einmal sorgt es für eine ordentliche Portion Frischluft für unseren Körper. In zweiter Linie macht es den Kopf frei - frei von Grübeleien, von kleinen Sorgen, vom Chaos des Alltags.
Mann gewinnt Abstand. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Es wird Raum freigegeben für neue Lösungen, für neue Gedankenverbindungen, für ein Wohlgefühl, das den Tag angenehmer macht. Nicht zu verachten ist die körperliche Seite dieser täglichen Spaziergänge: man gewinnt, auch wenn es nur eine kurze Zeit, z.B. 15 Minuten sind, die man jeden Tag geht oder zügig geht, eine nicht zu verachtende Fitness dadurch.
Beim Spazierengehen werden alle Muskeln des Körpers gleichmäßig gebraucht. Nichts wird überbelastet oder einseitig belastet. Gehen ist das, was uns von Beginn der Menschheit an in die Wiege gelegt worden ist. Gehen ist das, was den frühen Menschen als Nomaden ausgezeichnet hat. Als Nomade hatte man kein festes Haus, sondern man zog mit dem Vieh, je nach dessen Futterbedürfnis von Weide zu Weide, von Ebene zu Ebene, von Grasland zu Grasland, ohne einen festen Bezugspunkt zu haben.
Eigentlich müsste uns allen das Gehen noch im Blute stecken. Denn soweit sind wir von dem Nomaden der Frühzeit in unserer Körper-Programmierung gar nicht entfernt.
Wir glauben es zu sein, aber wir sind es nicht.
Bruce Chatwin hat ein wunderbares Buch über das Gehen geschrieben: „Traumpfade“.
Darin berichtet er, dass sich die Aborigines, die Ureinwohner Australiens, ihr Land singend zu eigen machten. Jeder Aborigine kannte Gesänge von seinen Ahnen und sang mit ihnen während des Gehens, sein Land ins Leben. Diese Gesänge führten jeden auf sogenannten "songlines" gehend, durch das ganze Land an sein jeweiliges Ziel.
Chatwin nannte auch Robert Burton, (1577 - 1640), der „ein sesshafter Büchernarr an der Universität Oxford war“, und schrieb folgendes Zitat aus dessen Buch „Anatomie der Melancholie“ auf: „Die Himmel selbst drehen sich ständig, die Sonne geht auf und unter, der Mond nimmt zu, Sterne und Planeten sind in ständiger Bewegung, die Luft wird noch immer von den Winden geschüttelt…zweifellos…, um uns zu lehren, dass wir immer in Bewegung sein sollten.“ Außerdem sagte Burton noch: " Es gibt gegen diese Krankheit (Melancholie) nichts besseres als die Luftveränderung, als ab und zu auf und ab zu wandern…“
In Chatwins Buch ist auch das Zitat von Sören Kierkegaard zu finden: „Verlieren Sie vor allen Dingen nicht die Lust, zu gehen: ich laufe mir jeden Tag das tägliche Wohlbefinden an und entlaufe so jeder Krankheit; ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen; ich kenne keinen, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen loswürde… beim Stillsitzen aber …kommt einem das Übelbefinden nur um so näher…Bleibt man so am Gehen, so geht es schon.“ (Brief an Jette 1847)
In diesem Sinn! Schnüren wir unsere Schuhe!