Vom guten und vom schlechten Beispiel
von Dirk Hoffmann (Text & Foto)
„Das ist aber ein schlechtes Beispiel von einem guten Essen“, erklärte der Koch, „da fehlt noch etwas“.
„Wieso, ich finde es lecker“, erwiderte der Küchenjunge,
„Ja, du findest auch alles lecker. Hauptsache, du hast etwas zu essen. Oh je, alles muss man selber machen“.
Der Koch entfernte sich, um zu holen was er meinte, das fehlte.
„Lass mich mal probieren“, bat eine dem Küchenjungen unbekannte Stimme.
Der Küchenjunge, der sehr stolz war auf seine erste selbst gekochte Gemüsesuppe, senkte den Kopf.
„Oh, ist die köstlich“, fuhr die unbekannte Stimme fort, „lass dieses schlechte Beispiel von einem guten Koch diesen Leckerbissen bloß nicht ruinieren. Jetzt mach nicht so ein Gesicht“.
„Wer bist du? Wo kommst du her?“, fragte der Küchenjunge erschrocken als er das Mädchen sah, das genüsslich seine Gemüsesuppe löffelte.
„Ich bin nur die Tochter von diesem selbsternannten Fünfsternekoch. Ich bin Emma“.
„Und du wagst es, so über deinen Vater zu reden?“
„Eigentlich ist er der beste Vater, den man sich vorstellen kann. Nur mit dem Kochen hapert es ein wenig“.
„Ich bin doch hier, um von ihm zu lernen, wie kann er…?“
„Deine Gemüsesuppe ist besser als alle Suppen, die er je gekocht hat. Das wird er aber niemals zugeben. Wie steht es mit dir? Bist du von deiner Suppe überzeugt?“
„Ich weiß nicht. Sie schmeckt mir jedenfalls. Was meint er wohl was da fehlt?“
„Was weiß ich? Salz, Pfeffer, irgendwelche Kräuter? Psst…“
Emma duckte sich unter den Tisch. Der Koch kehrte mit einigen Glasbehältern zurück.
„So, lass mal sehen“.
Er kostete noch einmal die Suppe, bevor er zu einem Behälter mit der Aufschrift Salz griff.
„Nein, bitte. Kein Salz“, flehte der Küchenjunge, „ich habe genügend gesalzen“.
„Wie bitte?“
„Die Suppe ist sehr gut“, rief Emma und schoss unter dem Tisch hervor.
„Was willst du denn hier?“, schimpfte der Koch.
„Verhindern, dass du ein so ein gutes Beispiel einer Gemüsesuppe in ein schlechtes Beispiel verwandelst“.
„Unverschämtheit! Mach, dass du hier raus kommst!“
Der Koch wurde wütend, was den Küchenjungen in Angst versetzte.
„Mach dir keine Sorgen. Der tut nur so“, beruhigte Emma ihn.
„Wenn du meinst“.
„Wer tut hier nur so?“
„Ach Papa, gib es zu. Die Suppe ist hervorragend. Du bist nur neidisch, dass sie nicht dein Werk ist“.
Der Koch schlürfte bedächtig noch einen Löffel Suppe.
„Ja. Ich gebe zu, sie ist ganz brauchbar“.
„Papa!“
„Ja, Emma, du hast recht. Sie ist wirklich lecker. Aber wie kann das sein? Ich bin doch der Koch“.
„Aber,... wie heißt du eigentlich?“
„Thomas heiße ich“.
„Thomas ist eben auch ein guter Koch“, erklärte Emma.
„Ja, er hat Potential. Also gut Thomas. Wenn du bei mir in die Lehre gehen möchtest, ich biete dir eine Stelle an“.
„Ja, das würde ich sehr gerne“.
„Vielleicht“, mischte Emma sich noch einmal ein, „könnt ihr beide ja auch voneinander lernen“.
„Tochter, übertreib es nicht“.
Die nächste Gemüsesuppe kochten Thomas und sein neuer Lehrmeister gemeinsam. Es sollte das beste Beispiel einer guten Gemüsesuppe werden.
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